Kur

Es gibt Kuriere, es gab Kurfürsten, in Museen gibt's Kuratoren. Es gibt auch die schlichte Kur. In einer solchen befindet sich Alexander derzeit und lässt mich via Handy und Postkarten daran teilhaben. Das meiste, was mit „Kur“ anfängt, stammt von curare, lat. = sorgen, fürsorgen. In der Kur (ganz ohne was dran) sorgt jemand für sich selbst, indem er andere für sich sorgen lässt. Alexander schafft das nur ganz schlecht. Er macht sich eher Sorgen um seine Therapeuten dort. Alexander erzählte empört, wie die Kurbadgesellschaft seine Masseurin überlastet: Sie muss inzwischen alle eingehenden Telefonate entgegennehmen. Die frühere Rezeption ist unbesetzt. Gesundheitsreform und so. So nimmt die Therapeutin die Telefonate über Mobiltelefon (das zahlt die Kurgesellschaft noch) im Behandlungszimmer an und sagt den Anrufenden mit Engelsgeduld" betont Alexander) wie sie an Anschluss-Rezepte oder einen anderen Termin kommen. Das alles muss die Arme schaffen, während sie bei Alexander mit der anderen Armkraft die Anwendungen anwendet. Wahrscheinlich braucht die Masseurin abends eine Massage bei dieser schizoiden Motorik, wie die eine Hand gar nicht wissen kann, was die andere macht. Alexander tröstet die Masseurin, die ein etwas schlechtes Gewissen zeigte, weil sie eben doch sensibel ist. Er tröstete sie, indem er ihr von den Pianisten erzählte, die einarmig aus den Kriegen kamen und für die extra Konzerte komponiert wurden. Es wird zwangsläufig einhändige Anwendungen als neue Methoden geben, tröstete Alexander sie. Oder die Krankengymnastik. Der arme Krankengymnast ist Opfer der gegenwärtigen Grippewelle und hustet, schnupft, röchelt über Alexanders Rücken oder Bauch und braucht wahrscheinlich weniger Öl zu verreiben, weil seine Nase ihren Teil dazu gibt...Igittigitt, sagte ich entsetzt am Telefon zu Alexander. Aber er nahm den kranken Gymnasten in Schutz und wusste, dass der kranke Gymnast Vater von vier Kindern und in der Probezeit ist und alles darf, nur sich nicht krankmelden. Ich frage Alexander, ob er denn einen gewissen Ausgleich durch Kurschatten hätte. Aber da sei nichts, meint Alexander enttäuscht. Von den zwei Damen, die auf die Ferne in Frage gekommen seien, erzählte die eine beim vierten Treffen immer noch von der Vordiplomprüfung ihrer Enkelin. Und die andere mache in Politik: Es sei doch eine Schande, dass die Nato sich bei der ersten Kleinigkeit jetzt nicht sofort geeinigt habe. Ich wünschte Alexander das Gute, was er braucht. Ich werde - So Gott mitsorgt-immer genügend für mich selbst sorgen. So dass ich nicht in eine Kur gehen muss, wo ich für mich sorgen müsste, indem andere für mich sorgen, um die ich mich sorgen müsste.

25. Februar 2003